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Selbstliebe

Wort zum Tage, 27.04.2023

Martin Wolf, Mainz

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Wenn es in einer Partnerschaft spürbar knirscht, dann könnte das vielleicht daran liegen, dass einer der Partner sich selbst nicht wirklich lieben kann. So hat das ein Psychiater, der Paare in Beziehungskrisen berät, mal in einem Interview beschrieben. Zugegeben, beim ersten Lesen hat mich das überrascht. Geht es in einer guten Beziehung nicht vor allem darum, den anderen zu lieben und nicht zuerst sich selbst? Und ist das Geheimnis einer glücklichen Partnerschaft nicht gerade dieses wunderbare gegenseitige Geben und Nehmen? Also: Ich liebe dich und du liebst mich?

Die Wirklichkeit scheint leider komplizierter. Denn wenn ich vom Anderen ständig das brauche, was ich für mich nicht empfinden kann, Liebe nämlich, dann kann das keine Partnerschaft auf Augenhöhe mehr sein. Eher so eine Art Abhängigkeit. Ein unausgesprochener Deal: Du musst liefern! Weil ich auf deine Liebesbeweise so angewiesen bin wie der Süchtige auf den Stoff. Du musst mir bestätigen, dass ich wirklich geliebt bin. Immer und immer wieder.

Dass das auf Dauer jeden Partner und jede Partnerin überfordern muss, liegt tatsächlich auf der Hand.

In einem der Spitzengebote des christlichen Glaubens heißt es: Du sollst deinen Nächsten lieben, wie dich selbst. Ein Satz, den ich bestimmt schon tausendmal gehört und gelesen habe. Entsprechend leicht geht er mir über die Lippen. Dabei hat er es in sich. In der Regel liegt die Betonung ja auf dem ersten Teil: Du sollst den Anderen lieben! Mehr noch: Jeden Anderen lieben – und den erhobenen Zeigefinger, den höre ich da gleich mit.

Dabei ist der zweite Teil genauso wichtig. Liebe andere, wie du dich auch selbst lieben und annehmen kannst. Wenn ich das nämlich nicht kann, dann wird es auch schwierig sein mit der Liebe. Denn Liebe ist ja keine Leistung, die ich zu erbringen habe. Kein sportlicher Wettbewerb um die höchste Punktzahl. Liebe ist im Letzten immer ein Geschenk. Und wer innerlich erfüllt ist, sich selbst also reich beschenkt fühlt, der kann auch mit vollen Händen geben.

Darum gehört zum Lieben-Können unbedingt, dass ich mich selbst lieben, mich annehmen kann, so wie ich bin. Es sind zwei Seiten derselben Medaille. Manchmal muss ich das erst lernen. Mich selbst zu mögen. Mich anzunehmen. Barmherzig mit mir zu sein. Vielleicht ja, indem ich es endlich schaffe, mir meine Fehler zu verzeihen. Mich nicht gleich von jeder Kritik als Mensch in Frage stellen zu lassen. Mich nicht nur darin sehe, was ich alles kann und leiste. Vielmehr als Mensch. Nicht perfekt vielleicht, aber jeder Liebe wert.

Über den Autor Martin Wolf

Martin Wolf wurde 1962 in Schwerte geboren. Er studierte Katholische Theologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Seit 1990 ist er beim Bistum Speyer beschäftigt. Von 1993 bis 2004 war er als Pastoralreferent in verschiedenen Pfarreien des Bistums Speyer tätig. 2004 wurde er Leiter der Katholischen Hochschulgemeinde in Kaiserslautern. Als Autor ist er in der Katholischen Rundfunkarbeit bereits seit 2002 engagiert. Von 2010 bis 2017 war er auch Beauftragter des Bistums Speyer beim Südwestrundfunk (SWR) und Saarländischen Rundfunk (SR). Seit Juni 2017 ist Martin Wolf Landessenderbeauftragter der Katholischen Kirche beim SWR in Mainz. Wolf ist verheiratet und hat gemeinsam mit seiner Frau zwei Töchter.