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Des anderen Last

Wort zum Tage, 27.08.2024

Martin Wolf, Mainz

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Von der Fußball-Europameisterschaft bei uns im Land, die schon wieder mehr als sechs Wochen zurückliegt, sind mir noch ein paar ganz besondere Eindrücke im Gedächtnis. Packende Spiele natürlich. Die Bilder fröhlich feiernder Fans in der Innenstadt. Am nachhaltigsten aber die emotionale Rede, die der Bundestrainer nach dem Ausscheiden unserer Mannschaft gehalten hat. In der Pressekonferenz hat Julian Nagelsmann damals gesagt: "Ich wünsche mir, dass wir verstehen, dass es gemeinsam einfach besser geht. Wenn ich meinem Nachbarn helfe die Hecke zu schneiden, dann ist er schneller fertig, als wenn er’s alleine macht. Wenn wir immer nur in Tristesse verfallen, und alles ist grau und alles ist schlecht, dann wird sich keiner verbessern."

Nun ist ein Team aus hoch bezahlten Fußballprofis nicht gerade ein Spiegelbild der Gesellschaft, über die er da spricht. Aber der Mann hat trotzdem Recht. Weil es letztlich nicht um Fußball geht. Es geht darum, dass es gemeinsam einfach besser läuft. Wenn nicht jede und jeder vor allem egoistisch sein eigenes Ding verfolgt und nur die eigenen Interessen im Blick hat. Mit einem biblischen Ausdruck könnte man sagen: Es läuft einfach besser, wo Menschen bereit dazu sind, dass einer auch mal "des anderen Last trägt".

Das mag zwar spontan schon wieder nach Schwere klingen. Nach Schwermut und Lebenskrisen. Dabei kann es Spaß machen und manchmal sogar regelrecht begeistern.

In einem Buch hat der Physiker Heino Falcke vor einigen Jahren erzählt, wie es ihm und anderen gelungen ist, das allererste Foto eines riesigen schwarzen Lochs aufzunehmen. Einem kosmischen Objekt, das Millionen Lichtjahre von uns entfernt im All existiert. Das Bild war damals eine Weltsensation. Die Geschichte, die Falcke dazu erzählt, liest sich wie eine Bestätigung dessen, was der Fußball-Bundestrainer gemeint hat. Denn kein Wissenschaftler, auch nicht der Genialste, hätte das alleine hinbekommen. Erst durch die Zusammenarbeit hunderter, oft hochkarätiger Forscherinnen und Forscher war es möglich, dieses eine, ikonische Bild überhaupt entstehen zu lassen.

Falckes Geschichte hat mich auch deshalb fasziniert, weil sie so eindrücklich schildert, was möglich werden kann, wenn wir ein gemeinsames Ziel haben. Wenn Viele bereit sind, die eigenen Egoismen für eine Weile zurückzustellen und einen Teil der Last zu schultern. Und weil durch die Geschichte durchscheint, dass das nicht nur für wissenschaftliche Spitzenleistungen gilt, sondern auch für das Klein-Klein des alltäglichen Lebens. Vielleicht ja da, wo ich meinem Nachbarn helfe, die Hecke zu schneiden. Man muss es nur wollen.

Über den Autor Martin Wolf

Martin Wolf wurde 1962 in Schwerte geboren. Er studierte Katholische Theologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Seit 1990 ist er beim Bistum Speyer beschäftigt. Von 1993 bis 2004 war er als Pastoralreferent in verschiedenen Pfarreien des Bistums Speyer tätig. 2004 wurde er Leiter der Katholischen Hochschulgemeinde in Kaiserslautern. Als Autor ist er in der Katholischen Rundfunkarbeit bereits seit 2002 engagiert. Von 2010 bis 2017 war er auch Beauftragter des Bistums Speyer beim Südwestrundfunk (SWR) und Saarländischen Rundfunk (SR). Seit Juni 2017 ist Martin Wolf Landessenderbeauftragter der Katholischen Kirche beim SWR in Mainz. Wolf ist verheiratet und hat gemeinsam mit seiner Frau zwei Töchter.