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Konsequenz

Wort zum Tage, 27.10.2023

Andrea Wilke, Arnstadt

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"Was dir selbst verhasst ist, das mute auch einem anderen nicht zu." Dieser Satz steht in der Bibel, im Buch Tobit. Er hat mich eine ganze Weile beschäftigt: "Was dir selbst verhasst ist, das mute auch einem anderen nicht zu." Und ich überlegte, was ich anderen nicht zumuten möchte, weil es mir selbst verhasst ist. Ein paar Dinge fielen mir ein. Zum Beispiel möchte ich für mich nicht, dass andere schlecht über mich reden oder sogar Falsches über mich behaupten. Jemanden in der Öffentlichkeit bloßstellen, ist mir abgrundtief verhasst. Deshalb möchte ich es keinem anderen zumuten.

Erst beim Weiterlesen dieser Bibelstelle fiel mir auf, dass sich meine Überlegungen nach dem, was mir verhasst war, mehr im Bereich des seelischen Wohlbefindens aufhielten. Ein weiterer Satz dieses Bibelzitats lautet nämlich: "Gib dem Hungrigen von deinem Brot und dem Nackten von deinen Kleidern." Meinen Gedanken eröffnete sich ein weiterer Horizont, die physische Dimension. Hungrig sein und zu wissen, es ist nichts zum Essen da, würde ich auch hassen. Genauso wie ich es hassen würde, nur dünne Schühchen zu tragen, obwohl es bitterkalt ist. "Was dir selbst verhasst ist, das mute auch einem anderen nicht zu."

Ich komme nicht umhin, mich zu fragen, ob ich das, was ich hasse, anderen zumute. Mir fallen Berichterstattungen aus Ländern ein, wo Hunger und Elend an der Tagesordnung sind. Ich denke zum Beispiel an den Libanon, ein kleines Land, das seit vielen Jahren in einer schweren politischen und wirtschaftlichen Krise steckt. In diesem kleinen gebeutelten Land fanden kriegsbedingt 1,5 Millionen syrische Flüchtlinge Zuflucht, die versorgt werden müssen. Das macht ein Viertel der Gesamtbevölkerung des Libanons aus. Mir fallen aber auch unsere Tafeln vor Ort ein, die mit weniger Spenden klar kommen müssen bei gleichzeitig mehr Hilfesuchenden. Die haben wirklich drohenden Hunger im Gepäck, weil ihr weniges Geld nicht bis zum Monatsende reicht.

Ich weiß, dass ich nicht allen helfen kann. Aber das kann ja keine Ausrede dafür sein, niemandem zu helfen. "Von allem, was du im Überfluss hast, gib Almosen", heißt es an der genannten Bibelstelle weiter. Gott verlangt gar nicht, mich selbst in existentielle Not zu bringen, um das, was ich habe, den Armen zu geben. Das, was ich kann, soll ich zu geben bereit sein. Dies verlangt Ehrlichkeit mir selbst gegenüber. Wieviel brauche ich wirklich zum Leben? Wieviel kann ich geben, damit Bedürftige überleben?

Diese Antworten muss jeder für sich allein finden. Denn unnötige Vorschriften sind mir ebenfalls verhasst, die ich auch niemandem zumuten möchte.

Über die Autorin Andrea Wilke

Andrea Wilke wurde 1964 in Potsdam-Babelsberg geboren. 1989 - 1995 studierte sie Katholische Theologie in Erfurt und war danach bis 2002 tätig in der Forschungsstelle für kirchliche Zeitgeschichte an der Universität Erfurt. Sie ist Onlineredakteurin für die Homepage des Bistums und Rundfunkbeauftragte für den MDR im Bistum Erfurt.

Kontakt: Bischöfliches Ordinariat, Onlineredaktion, Herrmannsplatz 9, 99084 Erfurt

http://www.bistum-erfurt.de; awilke@bistum-erfurt.de