Ich lebe in Frankfurt an der Oder. Das heißt: Polen ist mir sehr nahe. Das beginnt ganz physisch: Die Entfernung von meinem Zuhause zum polnischen Ufer der Oder beträgt per Luftlinie ungefähr 850 Meter. Außerdem habe ich vor Jahren Polnisch gelernt und später ein Jahr in Polen studiert.
Aber in meinem Wohnort Frankfurt, der sich zusammen mit dem polnischen Słubice als Doppelstadt sieht, geht die Verbindung auf vielen Ebenen tiefer: Es gibt eine gemeinsame Buslinie, eine gemeinsame Tourist-Information, eine gemeinsame Fernwärmeverbindung – und auch gemeinsam organisierte Sommerkonzerte gehören dazu. Das macht das Leben reicher.
Nicht zuletzt gibt es auch Zusammenarbeit im Glauben: So ist es ein wunderbares Zeichen der Gemeinschaft, wenn im Dezember das Friedenslicht aus Bethlehem auf der Stadtbrücke von den polnischen Pfadfindern an die deutschen Kirchengemeinden übergeben wird. Auch beim ökumenisch organisierten Kreuzweg durch die Straßen beider Städte vor Ostern zeigt sich, dass grenzüberschreitendes Leben und Glauben hier selbstverständlich sind. Es sind eben nicht mehr nur das billige Tanken auf der einen und die höheren Löhne auf der anderen Seite – nein, mehr und mehr wächst ein echtes Zusammenleben.
Allerdings bleibt ein Ungleichgewicht: Während an polnischen Schulen standardmäßig Deutsch gelernt wird, ist es mit dem Polnischen an den Schulen auf der deutschen Seite noch dürftig bestellt. Und wenige deutsche Muttersprachler machen sich die Mühe, mehr als ein paar Worte Polnisch zu lernen. Und auch auf höheren Ebenen bleiben trotz der neuen Regierung in Warschau genug Unterschiede und Probleme: Die umstrittene Frage des Oderausbaus etwa oder der politisch sehr unterschiedliche Umgang mit der Vergiftung des Flusses im Sommer 2022 zeigen, wie verschieden wir in bestimmten Fragen ticken.
Mir selbst fällt das besonders auf, wenn ich mich mit deutschen Protestantinnen über gesellschaftliche oder kirchliche Fragen austausche. Denn dabei finde ich nicht selten mehr Anknüpfungspunkte mit ihnen als mit den polnischen Katholiken. Mit jenen teile ich zwar mehr Glaubensinhalte und die gleiche Weise, Gottesdienst zu feiern, aber in der Mentalität fühle ich mich oft näher bei meinen Landsleuten.
Und da zeigt sich: Polen ist mir zwar sehr nahe, aber das Leben in Grenznähe ist, ob religiös geprägt oder nicht, auch ein ständiges Lernfeld, um sich neu zu befragen und zu verändern. Nähe ist eben nur manchmal eine Frage der Geografie