Ich würde mich als einen religiösen Menschen bezeichnen: Woran ich das festmache? An meinem Hunger nach Gott. Und oft frage ich mich, ob ich richtig liege, wenn ich mir Gott als völlig unermesslich vorstelle. Als unerschöpflich, ja unvorstellbar und vollkommen jenseitig. Welche Bedeutung hätte so ein Gott, der hoch erhaben über dem Sternenzelt thront, während wir hier unten sitzen – im Schlamassel? Er wäre unnahbar, könnte keinem Menschen zur Seite stehen und damit irrelevant; ein ferner und anonymer allmächtiger Herrscher.
Ganz anders ist es bei dem Mann, der in Jerusalem am Kreuz gestorben ist. In diesem Jesus ist Gott den Menschen nahegekommen. Christinnen und Christen glauben: Gott selbst ist in dem Mann aus Nazareth Mensch geworden. Das bedeutet: im Christentum gibt es eine Brücke zwischen dem Göttlichen und dem Irdischen, zwischen dem, was wir "heilig" nennen und dem Alltäglichen. "Papa" – so nennt Jesus Gott. Und gegen allzu penible Reinheitsvorschriften, was alles zu beachten ist, wenn ein Mensch mit dem Göttlichen in Berührung kommen will, hat Jesus eine große Freiheit gelehrt. (vgl. Mk 7) Mir sagt das: Jesus hat durch sein Reden und Handeln die strikte und mit übermäßig vielen Vorschriften überladene Trennung von Heiligem und Unheiligem aufgehoben. Gott wird zu einem Freund, an den der Mensch sich vertrauensvoll wenden kann.
Es gibt nichts mehr, was ihm fremd ist. Dazu gehören auch Leiden, Sterben und der Tod. Was Gott selbst angenommen hat, kann auch ich annehmen. Ja, ich darf mich annehmen, wie ich bin. Gott verurteilt mich nicht dafür. Und wenn Gott nichts Menschliches fremd ist, kann alles Menschliche zu einem Ort werden, Gottes Spuren zu entdecken, ihm zu begegnen. Um Gott zu finden, braucht es also nur eins: Menschlichkeit.
Das klingt banal, zugleich befreit es davon, Gott im Extravaganten zu suchen. Etwa eine weite Wallfahrt zu machen oder große und besonders festliche Gottesdienste als die Orte zu sehen, an denen allein ich Gott begegnen kann.
Nein, es ist viel einfacher: Gott zeigt sich im alltäglichen Leben. Weil das aber nicht so recht zu den Vorstellungen passt, die gerade religiöse Menschen sich von ihrem Gott machen, wird er oft übersehen. Nicht umsonst heißt es in der Bibel: "Du sollst dir kein Bild machen". Wer das versucht, entdeckt Spuren Gottes an Orten, die so ganz und gar nicht zu großen Kathedralen passen. Aber genau da kann Gott gefunden werden.