Über eine halbe Million Christen sind vergangenes Jahr aus der katholischen Kirche ausgetreten. Viele davon wohl wegen der stetig neu ans Licht gekommenen Missbrauchsverbrechen durch katholische Priester. Auch in Internatsschulen des Jesuitenordens wurde Kindern und Jugendlichen Gewalt angetan. Ausgerechnet ein Jesuitenpater aber brachte 2010 die Aufdeckung und Aufarbeitung des Missbrauchs in Gang: Klaus Mertes, damals Rektor des Canisius-Kollegs in Berlin.
Pater Mertes klagte nicht nur einzelne Mitbrüder an, er stellte wegen des Beschweigens und Vertuschens der Taten seinen ganzen Orden an den Pranger. Eine Initiative, die durchaus im Sinn von Ignatius von Loyola gewesen wäre: Er hat den Jesuitenorden vor gut 500 Jahren gegründet. Ignatius stellte, ähnlich wie sein Zeitgenosse Martin Luther, Gewissensbildung und Gewissensentscheidung über Gleichschritt und Korpsgeist! Am 31. Juli 1556 starb Ignatius in Rom; heute begeht die katholische Kirche sein Heiligenfest.
Auf Ignatius geht eine Form der Persönlichkeitsbildung zurück, auf die heute auch Psychologen und Coaches zurückgreifen, wenn sie Menschen begleiten, die vor einer wichtigen Entscheidung stehen, die eine klarere Linie in ihrem Leben suchen, die etwas verarbeiten möchten, was ihnen zugestoßen ist. Ignatius nannte das "Exerzitien", wörtlich "Übungen".
Gemeint ist eine Auszeit von mehreren Tagen oder Wochen mit Stunden der Stille – eine Art Kur für die Seele! Eine Begleiterin oder ein Begleiter gibt Anstöße, in sich hineinzuhorchen; sich die Menschen vorzustellen, die man mag, und die man ablehnt; zu spüren, was einem Angst macht oder was einem Auftrieb gibt. Diese Stimmungen soll man einfach nur wahrnehmen, nicht bewerten… Jeden Tag gibt es eine Aussprache. Die Begleitung mahnt weder, noch gibt sie Ratschläge, sie hört zu. Wer erzählt, findet beim Sprechen meist selber den Weg und die rechte Entscheidung.
Manchen modernen Therapeuten gilt diese Art der Selbstfindung als Selbstoptimierung . Ignatius meint: In Wirklichkeit ist es Gott, der jeden einzelnen Menschen persönlich führt. In den Exerzitien wird es ihm bewusst, und er fasst Mut, sich Gott anzuvertrauen. Bevor ein Jesuit sich an den Orden bindet, soll er solche Exerzitien machen.
Jesuiten bieten Exerzitienkurse an – in Bildungshäusern oder online. Für aufgeschlossene Menschen – ob sie zur Kirche gehören oder nicht.