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Ich werfe meine Sorgen auf den Herrn (Ps 55)

Morgenandacht, 20.01.2025

Sr. Aurelia Spendel, Augsburg

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"Allem Anfang wohnt ein Zauber inne."

Der so oft zitierte Satz von Hermann Hesse stimmt. Es kann so wunderbar sein, mit Elan hinein zu springen in ein lang ersehntes Abenteuer, voller Vorfreude und zum ersten Mal ganz allein etwas zu wagen oder mit liebsten Menschen endlich, endlich auf einen verlockenden Horizont zuzugehen.

Allem Anfang wohnt ein Zauber inne. Das stimmt und stimmt leider auch wieder nicht. Denn im Anfang wohnt auch das Unbekannte, nicht Durchschaute. Er ist der Raum, in dem ich mich erst einmal orientieren muss, den ich nicht selbstverständlich beherrsche, ja, der mir Angst machen kann. Selbst wenn "nur" die scheinbar banalen Herausforderungen von Erwerbs- oder Familienarbeit anstehen, das normale Kleinklein des Alltags erschreckt die eine oder den anderen zu der Frage: "Was wird das werden? Wie soll ich das schaffen?" Besonders schwer ist es für die Menschen, die sich dem Unausweichlichem oder Bedrohlichem stellen müssen: einer riskanten Operation, einem Trauerfall, einer Kündigung, dem Scheidungstermin. Wohl niemand bleibt von solchen Erfahrungen verschont.

Um mit einem guten Gefühl, mit Vertrauen und Zuversicht in einen neuen Tag zu gehen, braucht es ein sicheres Fundament. Wer Weg-erfahren ist weiß: An den Anfängen und den Übergängen des Lebens, den großen wie den kleinen, tut es gut, sich einen Augenblick festhalten zu können; jemanden beim ersten Schritt an der Seite zu haben, zwar auf sich allein gestellt, aber doch nicht allein zu sein. Vom Wochenende in die Woche zu wechseln, ist in der Regel ein kleiner Übergang, wie ein Steg über einen Bach, keine schwankende Hängebrücke über einen reißenden Strom. Aber trotzdem: ein guter Geist, ein spiritueller Coach tun auch hier gut.

Das Volk Israel war ein Weg-erfahrenes Volk, durch die Wüste in das Gelobte Land, aus der Sklaverei in die Freiheit. Ohne Hilfe wäre das nie gegangen. Deshalb „erfand“ Israel eine Taktik, die zugänglich war für den oder die Einzelne wie für die ganze Gemeinschaft und die immer funktionierte. In der Sprache der biblischen Psalmen ausgedrückt, hieß das so: "Ich werfe meine Sorgen auf den Herrn." (Psalm 55) Schlicht und einfach, kompromisslos und radikal: "Ich werfe meine Sorgen auf den Herrn." Ohne rituellen Aufwand, ohne Lamento, ohne Skrupel.

Vielleicht stellen Sie sich diese Geste einmal bildlich vor. Sie nehmen die Sorgen in die Hand, bei den schweren, den niederdrückenden, muss man sich schon sehr anstrengen. Trotzdem: Sie nehmen die Sorgen in die Hand und werfen sie auf Gott. Keine Scheu, er hält das aus, er fängt sie auf. Jetzt haben Ihre Sorgen, Ängste und Bedenken einen Ort gefunden, trudeln nicht länger im Gedankenkarussell der schlaflosen Nächte, der unruhigen Tage umher. Sie sind aufgefangen, aufgehoben, nicht aufgelöst, lasten nicht mehr auf Schultern, sitzen nicht mehr im Nacken wie ein böser Geist. Gott hält meine Sorgen und er hält mich. Er hält sie auf, er hält sie an.

Der Anfang, auch der Anfang dieser Woche, ist leichter geworden. Es geht anders weiter, besser, geborgener. Ein kurzes Gebet möge Sie an diesem Tag begleiten, für Gläubige wie für Nichtgläubige, zum Ausprobieren: "Du, starke Kraft voller Liebe, ich werfe meine Sorgen auf dich. Dieser Anfang kann gut werden. Danke."

Über die Autorin Schwester Aurelia Spendel

Sr. Aurelia Spendel OP, Dr. theol., wurde 1951 geboren. Sie ist Dominikanerin und lebt in Augsburg.

Kontakt: aurelia.spendel@t-online.de